06.10.2022 – Fachtag Familienzentren: Mitarbeitendengesundheit in Familienzentren stärken

Am 6. Oktober 2022 fand der 6. Fachtag Familienzentren in Friedberg statt. Die diesjährige Veranstaltung konzentrierte sich auf die Frage, wie die Gesundheit der Mitarbeitenden in Familienzentren gestärkt werden kann. 

Der 6. Fachtag Familienzentren fand, nach zwei Jahren der digitalen Umsetzung, wieder in Präsenz in der Stadthalle Friedberg statt. Wie schon in den vergangenen Jahren moderierte Robert Hübner (hr-fernsehen) die Veranstaltung und begleitete die Teilnehmenden durch den Tag.

Nachdem der Fachtag Familienzentren im vergangenen Jahr verstärkt die Bildungs- und Erziehungsarbeit mit Kindern, Familien und Menschen im Sozialraum, insbesondere im Kontext der Auswirkungen der Coronapandemie in den Blick genommen hatte, konzentrierte sich die diesjährige Veranstaltung auf die Frage, wie die Gesundheit der Mitarbeitenden in Familienzentren gestärkt werden könne. 

Grußworte

Der 6. Fachtag Familienzentren in Hessen wurde auch im Jahr 2022 vom Hessischen Ministerium für Hessisches Ministerium für Familie, Senioren, Sport, Gesundheit und Pflege (HMFG) gefördert. So richtete sich Anne Janz, Staatssekretärin des HMFG, einleitend mit einem Grußwort an die Teilnehmenden. Dabei hob sie die hervorragende Arbeit der Familienzentren, Mehrgenerationenhäuser und Mütter- und Familienbildungsstätten hervor. Nur durch das große Engagement der Mitarbeitenden und Ehrenamtlichen sei die ganzheitliche Begleitung und Stärkung von Familien trotz der Herausforderungen in den vergangenen zwei Jahren möglich gewesen. Der Erhalt und die Förderung der psychischen und phsyischen Gesundheit aller Mitarbeitenden und Ehrenamtlichen sei dafür maßgeblich, und dürfe nicht aus den Augen verloren werden.

Oliver Janiczek, stellvertretender Geschäftsführer der HAGE, schloss sich in seiner Begrüßung den Worten von Frau Janz an: Die Förderung der Mitarbeitendengesundheit solle sich sowohl an den Individuen selbst als auch an den jeweiligen Rahmenbedingungen und der Organisation ausrichten. Darüber hinaus ermunterte er die Teilnehmenden, die Chance der Veranstaltung in Präsenz zu nutzen und miteinander in einen intensiven Austausch zu treten.

Interaktive Session

Im Anschluss an die Grußworte begann der Fachtag mit einer interaktiven Session.

  • Facilitated Networking: Austausch & Netzwerken in Kleingruppen und inhaltlicher Einstieg

    Cathy Narriman, Gründerin von Flipped Job Market und Leiterin des Projektes “MfG - Mit freundlichen Grüßen - für eine gelingende Arbeitskultur im öffentlichen Dienst”

    Cathy Narriman eröffnete nach den Begrüßungsvorträgen den Fachtag mit einer interaktiven Session: Sie brachte ein Interview-Tool mit, das einen ersten fachlichen Austausch unkompliziert mit einer leichten persönlichen Gesprächsebene verband. Beides seien wichtige Grundlagen für eine achtsame, vertrauensvolle und gesunde Zusammenarbeit - und auch ein guter Einstieg  für den Fachtag, um sich kennenzulernen und zu vernetzen. Festzuhaltende Schlüsselbotschaften für eine gelingende Zusammenarbeit waren: sich füreinander zu interessieren, einander zuhören, zu Wort zu kommen und gleichwürdig sichtbar zu sein. 

     

Hauptvortrag

Nach den anregenden Gesprächen in Kleingruppen schloss sich der Hauptvortrag von Prof. Dr. Anja Voss mit dem Titel "Mitarbeitendengesundheit im Familienzentrum: Ressourcen stärken, Belastungen mindern" des Fachtages an.

  • Hauptvortrag "Mitarbeitendengesundheit im Familienzentrum: Ressourcen stärken, Belastungen mindern" von Prof. Dr. Anja Voss

    Prof. Dr. paed. Anja Voss ist Professorin für Bewegungspädagogik/-therapie und Gesundheitsförderung an der Alice Salomon Hochschule in Berlin. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen u. a. im Bereich der Bildungs- und Gesundheitsförderung in Institutionen der Kindheitspädagogik. Darüber hinaus ist sie als Projektleitung an der STEGE-Studie (Strukturqualität und Erzieher*innengesundheit) beteiligt.

    Pädagogische Mitarbeiter*innen seien Belastungen, wie z. B. Lärm, Personalmangel und fehlender Gratifikation ihrer Arbeit, in besonderem Maße ausgesetzt. Dem gegenüber stünden allerdings auch wichtige Ressourcen, die sich aus ihrer Arbeit ergäben. Um die Gesundheit der Mitarbeitenden systematisch und nachhaltig stärken zu können, sei ein Perspektivwechsel notwendig: Statt Gesundheit zum Thema des Familienzentrums zu machen, müsse mit Gesundheit ein gutes Familienzentrum gemacht werden. Die Erfolgschancen, ein gesundheitsförderliches Setting zu entwickeln, seien höher, wenn Gesundheit ein Bestandteil der Organisationsentwicklung ist.

     

Fachforen

Einige der im Hauptvortrag genannten Themen wurden in den Fachforen aufgegriffen und intensiver behandelt. Die Fachforen stellten eine Verbindung zwischen Theorie und Praxis her, boten Raum für einen fachlichen Austausch und beschäftigten sich mit unterschiedlichen Aspekten gesunden Arbeitens im Familienzentrum.

  • 1. Fachforum: Das Familienzentrum als gesundheitsförderliche Lebens- und Arbeitswelt: Potentziale und Herausforderungen

    Moderation: Christina Vey, HAGE
    Prof. Dr. paed. Anja Voss, Professorin für Bewegungspädagogik/-therapie und Gesundheitsförderung an der Alice Salomon Hochschule in Berlin

    Frau Prof. Dr. Voss startete das Forum mit einer Aufgabe: Die Teilnehmenden sollten auf einem Koordinatensystem einzeichnen, in welchem Alter sie in welchem Ausmaß gesund waren, und anschließend, wann in ihrem Leben sie in welchem Ausmaß krank waren. Diese Aufgabe bildete die Grundlage für die Überlegung darüber, welche Definition von Gesundheit jeder Einzelne zugrunde legt. 
    Gesundheit werde auf der geistigen, physischen und psychischen Ebene hergestellt und resultiere aus einem Gleichgewicht von Risiko- und Schutzfaktoren. Im weiteren Verlauf des Forums ging es für die Teilnehmenden darum, sich ihre eigenen Potenziale und Interessen bewusst zu machen. Die Berücksichtigung von Potenzialen, Fähigkeiten und Interessen bei der Arbeit sei, Frau Voss zufolge, wichtig, um zufrieden und selbstbewusst zu arbeiten. Ziel sollte es dabei sein, auf Stärken und nicht auf Schwächen aufzubauen. Im Zuge einer gesundheitsförderlichen Organisationsentwicklung könne das Erkennen und Nutzen von Potenzialen und Vielfalt, ebenso wie die Bildung eines gemeinsamen Wertekerns, die Gesundheit der Mitarbeiter*innen positiv beeinflussen. Hilfreiche Maßnahmen bei der Gestaltung gesundheitsförderlicher Rahmenbedingungen seien zum Beispiel: Gesundheitszirkel, Qualifizierung, Arbeits- und Aufgabensteuerung, eine nachhaltige Verankerung sowie die Vernetzung.

  • 2. Fachforum: Resilienz von pädagogischen Fachkräften in Familienzentren stärken

    Moderation: Felix Koller, KGC Hessen
    Nicole Klenk, Diplom Pädagogin, lizenzierte Beraterin, Coachin und Trainerin von familylab. Darüber hinaus ist sie seit 20 Jahren als Suchttherapeutin tätig.

    Frau Klenk veranschaulichte, auf welch unterschiedlichen Wegen Emotionen verarbeitet werden. Die erfolgreiche Bewältigung und Verarbeitung von Emotionen sei dabei einerseits von der Bedeutung, die der jeweiligen Situation zugeordnet wird, und andererseits von den äußeren Umständen, in denen man sich befindet, abhängig. Anhand der Beispiele „Frustration“ und „Alarm“ (als Vorstufe von Angst) verdeutlichte Frau Klenk unterschiedliche Strategien des menschlichen Körpers, mit diesen Emotionen umzugehen. Resilienz, als Fähigkeit, selbst unter Zwang oder ungünstigen Umständen zu gedeihen, ermögliche in diesem Zusammenhang eine Rückkehr zur normalen oder optimalen Funktion. Würden Emotionen hingegen dauerhaft unterdrückt oder verdrängt, verblieben sie im System Körper, und könnten zu emotionaler Verhärtung oder Depression führen. Als wichtigsten Faktor für Resilienz hob Frau Klenk das Vorhandensein einer Bindungsperson hervor, in deren Beisein Gefühle zugelassen werden können. Anhand der drei Schlagworte „Spiel“, „Ruhe“ und „voller Gefühl“ konnten die Teilnehmenden des Fachforums wichtige Hinweise zu Möglichkeiten der Verarbeitung von Emotionen und zur Stärkung der Resilienz, auch in Ihrem beruflichen Kontext, mitnehmen. 

  • 3. Fachforum: Zur Bedeutung von Werten und Wertschätzung in der täglichen Arbeit

    Moderation: Eva Zepter, HAGE
    Cathy Narriman, Flipped Job Market 

    Im Fachforum „Zur Bedeutung von Werten und Wertschätzung in der täglichen Arbeit“ moderierte Cathy Narriman zunächst einen offenen Austausch unter den Teilnehmenden: Die Arbeit in Familienzentren als eine soziale und verantwortungsvolle Arbeit sei - wie jede soziale Arbeit - stark werteaufgeladen. Rasch kam zutage: Gerade dann, wenn von „gemeinsamen Werten“ oder „Leitbildern“ die Rede sei, komme es häufig zu Konflikten. Denn es sei nicht das Selbe, Werte aufzuschreiben und Werte zu leben. Gerade in werteaufgeladenen Kontexten würden Werteverletzungen, die sich in mangelnder Wertschätzung, zeitlicher Überlastung, inhaltlicher Überforderung, aber auch in Konfliktunfähigkeit, konkreten Konflikten bis hin zu Mobbing etc. zeigen können, besonders häufig wahrgenommen und können zu krankmachenden Arbeitssituationen führen. So entstünde mitunter schnell der Eindruck,  Leitbilder und Mission-Statements seien ausgehöhlt und wikrungslos. “Werte können nicht „verschrieben“ werden”, so das Fazit der Diskussion des Fachforums.
    Weiter führte Cathy Narriman als wichtige Voraussetzungen für gelingende Zusammenarbeit, die „Ableitung der Werte aus realen Kontexten“ sowie die „Sprechfähigkeit über diese Werte" für die gelingende Umsetzung im realen Alltag ein: Was für die eine ein Ausdruck von „Ehrlichkeit“ sei, möge für die andere als übergriffig oder als Verletzung von Vertraulichkeit empfunden werden. Die „Gerechtigkeit“ der einen sei die „Unflexibilität“ der anderen usw., wie im Fachforum anhand des Wertequadrats erörtert wurde.
    Schließlich entwickelten die Teilnehmenden, ausgehend von konkreten eigenen Arbeitssituationen, in einer Art “Selbstversuch” ganz persönliche Definitionen von Werten, und tauschten sich dazu miteinander aus, um die eigene Sprechfähigkeit darüber zu schulen.

Kleingruppenarbeit

Im Anschluss an die Fachforen und der Mittagspause berichteten die Moderatoren der Fachforen anhand kurzer Blitzlichter über die behandelten Inhalten. Danach folgte eine weitere interaktive Methode in Kleingruppen.

  • Kleingruppenarbeit: Thema Selbstwirksamkeit

    Cathy Narriman, Flipped Job Market

    In der Kleingruppenarbeit am Nachmittag stand das Thema „Selbstwirksamkeit“, im Sinne einer guten Selbsteinschätzung der eigenen Kompetenzen, im Mittelpunkt. In Absprache mit Frau Prof. Anja Voss, die in ihrem Vortrag bereits Grundlagen zu u. a. Selbstwirksamkeit und Salutogenese mitbrachte, führte Cathy Narriman vor allem das Konzept der „Gerne-Fähigkeiten“ ein: Gerne statt gut! Mit der Idee, „Wenn wir etwas gerne tun, sind wir in großer Gefahr, gut zu sein“, überwänden wir den anstrengenden Optimierungs- und Leistungsdruck durch (äußere) Bewertungskulturen. Und trügen langfristig dazu bei, dass wichtige Arbeit (wie die in Familienzentren) gerne und somit gut erledigt werde - unter gesunden Umständen für die Mitarbeitenden (und Kund*innen im weitesten Sinne).
    In der Übung tauschten sich die Teilnehmenden unter Anleitung von Cathy Narriman in einem Storytelling-Format über gelingende Situationen aus ihrem Alltag aus und analysierten gegenseitig die in diesen Situationen eingebrachten Fähigkeiten - für eine bessere Selbsteinschätzung der eigenen Kompetenzen.

Aktivierende Lachübungen


Stress und Belastung können auch weg-gelacht werden. Zusammen mit der zertifizierten Lachyoga-Lehrerin Sandra Mandl wurden die aktivierenden Lachübungen gemeinsam durchgeführt.

Lachyoga ist eine befreiende Art, die eigene Stimmung zu verbessern, Stress zu lösen und die Kompetenz, mit schwierigen Situationen etwas gelassener umzugehen, zu verbessern. Durch die Atemübungen wird eine intensive Sauerstoffversorgung erreicht und die Entspannung unterstützt. Um die positiven Effekte für die Immunabwehr und eine bessere Konzentration zu erhalten, braucht es nicht zwingend Humor - hinderlich ist dieser jedoch auch nicht.

Fishbowl-Diskussion


Nach der Kleingruppenarbeit zum Thema “Selbstwirksamkeit” und der Aktivierung durch das Lachen folgte eine Fish-Bowl-Diskussion mit Vertretern aus Wissenschaft, Politik und Praxis. 

  • Fishbowl-Diskussion

    An der Podiumsdiskussion nahmen Nadin Albers (HMSI), Prof. Dr. paed. Anja Voss (Alice Salomon Hochschule Berlin), Daniela Kobelt Neuhaus (Bundesverband der Familienzentren e.V.), Franca Schirrmacher vom Mehrgenerationenhaus (MGH) Frankfurt Gallus und Robert Hübner als Moderator teil. 

    Die Methode der Fish-Bowl-Diskussion sieht vor, dass ein Stuhl in der Runde frei bleibt. Dieser kann kurzzeitig durch Teilnehmende, die sich in die Diskussion einbringen möchten, besetzt werden. 

    Nach einleitenden Worten durch den Moderator berichtete Franca Schirrmacher aus dem MGH Frankfurt Gallus, wie sich ihre Organisation und deren Arbeitsweise im Zuge der Coronapandemie verändert habe:  Als Beispiele nannte Sie die Digitalisierung von Angeboten oder auch deren Verlagerung in Außenbereiche. Außerdem sei ein Betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) in dem MGH installiert worden. Gleichzeitig hätten jedoch als Folge der Pandemie viele Ehrenamtliche ihr Engagement aufgegeben. Bei den Mitarbeitenden, schilderte Frau Schirrmacher, sei ein Zuwachs an psychischen und muskuloskelettalen Erkrankungen zu beobachten. Im Rahmen des BGM zeigten sich besonders die Einzelgespräche als hilfreich. Bewegungsangebote würden, so Frau Schirrmacher, weniger in Anspruch genommen, da die Mitarbeiter*innen nach dem Gruppendienst in der Regel sehr erschöpft seien. 

    Im Hinblick auf die Entwicklung einer gesundheitsförderlichen Organisation konstatierte Frau Prof. Dr. Voss, dass mehr für die Professionalisierung in pädagogischen Einrichtungen getan werden müsse, damit diese sich zu lernenden Organisationen entwickeln können. Dabei hob sie hervor, dass dies jedoch nicht meine, nur Akademiker*innen oder Kindheitspädagog*innen zu beschäftigen. Vielemehr sei es sinnvoll, verschiedene Akteure zu versammeln, um das Feld neu zu denken.

    Kernbotschaften aus der Diskussion

    • Mit Blick auf den Fachkräftemangel waren sich die Diskutierenden einig, dass die Möglichkeiten für einen Quereinstieg gefördert werden sollten. Frau Albas berichtete in diesem Zusammenhang von dem Hessischen Landesprogramm im Rahmen der Fachkräfteoffensive. Dadurch solle 1800 Quereinsteigern der Zustieg in den pädagogischen Beruf ermöglicht werden. Eine weitere Möglichkeit sei die Anerkennung von Zeugnissen aus dem Ausland durch den Bund. Dieses Verfahren sei momentan jedoch noch sehr langwierig, da es häufig schwierig sei, an Zeugnisse von Migrant*innen heranzukommen.
    • Eine Möglichkeit, um dem Fachkräftemangel zu begegnen, beschrieb Frau Schirrmacher mit dem Konzept der „Stillen Reserve“. Bei diesem machten Migrantinnen, die geringe Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben und gerne mit Kindern und Familien arbeiten, eine hauswirtschaftliche Qualifizierung und könnten so im Familienzentrum als Hauswirtschaftskraft arbeiten. 
    • In der Runde wurde kritisiert, dass Gelder für Personalstellen fehlten. Es gäbe zwar Förderungen. Diese reichten dann aber lediglich für eine Honorarkraft aus. In diesem Zusammenhang nahm Frau Albers Bezug auf die Förderung der Familienzentren durch das Hessische Ministerium für Soziales und Integration und konstatierte, dass auch die Kommunen und die Sozialraum- und Jugendhilfeplanung in die Pflicht genommen werden sollten.

Eindrücke des Tages


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Titelbild: © blueastro-shutterstock.com
Veranstaltungsbilder: © HAGE/andreasmann.net