Modellprojekt zum Auf- und Ausbau bewegungsfördernder Strukturen für ältere Menschen in der Kommune

Bewegt älter werden in Offenbach am Main

Bewegt älter werden in OffenbachBewegung im Alltag bildet eine wichtige Ressource für Gesundheit und Lebensqualität im Alter. Das Modellprojekt hatte von August 2020 bis März 2022 den Auf- und Ausbau einer seniorengerechten, bewegungsfördernden Infrastruktur im Stadtgebiet Offenbach am Main zum Ziel. Im Vordergrund stand dabei die Stärkung der Bewegungsförderung mit einem komplexen Lebensweltansatz, der alle Lebensbereiche umfasst.

Hintergrund des Projektes

Bewegung im Alltag ist immer noch eine stark unterschätzte Ressource für Gesundheit und Lebensqualität im Alter. Bewegung in jeglicher Form hat eine große Bedeutung sowohl für den Erhalt der Gesundheit und des Wohlbefindens als auch für die Minderung von Risiken chronischer Erkrankungen. Sie steigert die soziale Teilhabe und die Lebensqualität bis ins hohe Alter. Der gesundheitliche Nutzen, die Reduktion des Sturzrisikos bis hin zu psychosozialem Wohlbefinden sind hinreichend belegt. 

Bewegung als regelmäßige Aktivität in den Alltag zu integrieren und körperlich aktiv zu sein, bedeutet aber nicht ausschließlich, Sport zu treiben. Die Stärkung der Bewegungsförderung mit einem komplexen Lebensweltansatz, der alle Lebensbereiche umfasst, sollte im Vordergrund stehen. Denn ein aktiver Lebensstil wird dabei sowohl von persönlichen Kompetenzen, als auch von Rahmenbedingungen, wie der Siedlungs- und Sozialstruktur, beeinflusst. 

Die Kommune als zentrale Lebenswelt älterer Menschen spielt bei der Entwicklung einer bewegungsförderlichen Umgebung, und damit bei der Integration von Bewegung in den Alltag, eine bedeutende Rolle.

Stadtentwicklung und Alltagsaktivität

Studien zeigen, dass Bewohner in Stadtteilen und Quartieren mit den Merkmalen Infrastruktur, Nutzungsmischung, öffentliche Begegnungsmöglichkeiten und Fußwegen, eine aktivere Lebensweise aufweisen. Aber auch die Stadtteile und Quartiere, die diese Merkmale verfügen, weisen eine höhere Walkability* auf. Somit spielt die Stadtentwicklung eine bedeutende Rolle für Lebensqualität, gesellschaftliche Teilhabe und Alltagsaktivität (Tran und Schmidt, 2014).

Ziele des Projekts

Das Modellprojekt hatte den Auf- und Ausbau einer seniorengerechten, bewegungsfördernden Infrastruktur im Stadtgebiet Offenbach am Main zum Ziel. Zum einen ging es um den Ausbau von niederschwelligen Bewegungsangeboten in der Stadt Offenbach am Main und zum anderen sollte die bewegungsfördernde Struktur und Kultur in der Stadt Offenbach verbessert werden. Das bedeutete, eine systematische Weiterentwicklung gesundheitsfördernder Strukturen wurde mit verhaltenspräventiven Maßnahmen zusammen gedacht und umgesetzt. Die Sensibilisierung und Gewinnung potentieller Projektpartner für eine bewegungsfördernde Infrastruktur sowie die systematische Einbeziehung der älteren Bürgerinnen und Bürger ab 60 Jahren waren wichtige Bausteine des Projekts.

Umsetzung

Gemeinsam mit der Stadt Offenbach am Main setzte die HAGE das Modellprojekt um. Die HAGE unterstützte und beriet mit dem Arbeitsbereich Gesund altern die Kommune im gesamten Prozess von der Ist-Analyse, über die Maßnahmenentwicklung und -umsetzung bis hin zur Evaluation und Weiterentwicklung. Bewegungsförderung wurde dabei als ein Prozess verstanden, der an vorhandene Potenziale anknüpft, individuelle und lebensweltbezogene Ressourcen stärkt und damit die Gesundheitschancen der Menschen verbessert.

Bedarfs- und Bedürfniserhebung

unter Einbindung von Seniorinnen und Senioren

Gesundheits- und bewegungsförderliche Maßnahmen sollten gezielt auf die Bedarfe und Bedürfnisse vor Ort zugeschnitten sein und über direkten Kontakt in Kooperation mit verschiedenen Akteur*innen, der Zielgruppe der älteren Menschen entwickelt und durchgeführt werden. Die Bedarfs- und Bedürfnisanalyse der Zielgruppe hinsichtlich Barrieren und fördernder Faktoren eines aktiven Lebensstils (Zeit, Ort, Infrastruktur, Angebote, Wünsche der Zielgruppe etc.) sind hier relevant. 

Um die Alltagsbewegung von älteren Menschen zu fördern und eine seniorengerechte Gestaltung des Stadtgebietes Offenbach am Main voranzubringen, wurden im Projekt „Bewegt älter werden in Offenbach“ mit unterschiedlichen Methoden Bedarfs- und Bedürfnisanalysen durchgeführt. Es wurden quantitative und qualitative Beteiligungsmöglichkeiten auf unterschiedlichen Ebenen durchgeführt. 

Neben der Bürgerbefragung fand eine Fotoaktion von Februar bis März 2021 sowie ein daran anschließender Stadtteilspaziergang mit Seniorinnen* und Senioren statt.
Die Ergebnisse der Befragung sowie weitere Daten aus der Bestandsaufnahme zu den Bewegungsangeboten von den verschiedensten Einrichtungen, wie Sportvereine, Kirchen und Fitnessstudios fließen in die Maßnahmenentwicklung der Projektgruppe mit ein. Damit sich Seniorinnen und Senioren unter anderem gerne draußen bewegen, erarbeitet die Projektgruppe attraktive Möglichkeiten und Maßnahmen, um zum Beispiel das Wohnviertel zu gestalten oder weitere Bewegungsangebote vor Ort zu schaffen. Akteure der Projektgruppe sind neben den Bereichen der städtischen Verwaltung (Sozialamt, Stadtgestaltung, Sportamt), Vereine und Wohlfahrtsverbände.

Um die Alltagsbewegung von älteren Menschen zu fördern und dabei die seniorengerechte Gestaltung des Stadtgebiets Offenbach in den Blick zu nehmen, befragte das Projekt „Bewegt älter werden in Offenbach“ im Zeitraum von Januar bis Februar 2021 Bürger und Bürgerinnen über 60 Jahre.

Für die Umfrage wurden 300 zufällig ausgewählte Offenbacher und Offenbacherinnen über 60 Jahre angeschrieben und um eine persönliche Einschätzung zur Bewegungsfreundlichkeit ihres Wohnviertels gebeten. Die Umfrage erfolgte anhand eines standardisierten Fragebogens. Er beinhaltete Fragen, wie zum Beispiel zu Arten von Wohnhäusern in der Nachbarschaft, Entfernung zu lokalen Einrichtungen, Infrastruktur der Fuß- und Radwege in der Wohnumgebung, Attraktivität des Wohnviertels und die eigene körperliche Aktivität. Die Teilnehmer konnten den Fragebogen postalisch zurücksenden. Insgesamt nahmen über 100 Offenbacher und Offenbacherinnen über 60 Jahre teil (Rücklaufquote von 34%). Dabei zeigte sich die Umfrage hinsichtlich der Geschlechter- und Altersverteilung sowie der Verteilung auf die unterschiedlichen Stadtteile in Offenbach als repräsentativ.

Die Bedarfs- und Bedürfniserhebung im Projekt ergab, dass Treffpunkte, Begegnungen, Sitzmöglichkeiten und öffentliche Toiletten wichtige Punkte für die Befragten und ihre Bewegung sind. 

Um die persönlichen Eindrücke und Sichtweisen festzuhalten, wurden die über 60-Jährigen Bürgerinnen und Bürger in Offenbach am Main dazu aufgerufen, Ihre Eindrücke des Wohnviertels und der Wohnumgebung mit dem Handy oder Fotoapparat festzuhalten und der Projektgruppe zu senden. 

Sie konnten damit zum Beispiel zeigen, welche Ihre Lieblingsorte sind, und machten Bilder vom Stadtteil, wie Sie ihn sehen: Welche Plätze machen für Sie Ihr Quartier attraktiv und lebenswert? Was ist nicht so schön und sollte verändert werden? Wo treffen Sie gerne Freunde und halten sich gerne auf? Beispiele können Plätze, Parkanlagen oder auch der Weg zu nächstgelegenen Geschäften oder Einrichtungen sein. Der Aufruf zur Mitmachaktion erfolgte über Begegnungsstätten wie Seniorentreffs, Freiwilligenzentren und das Mehrgenerationenhaus. Insgesamt nahmen 30 Bürger und Bürgerinnen das Angebot wahr und sendeten ihre Fotos per Email zu.

Die zugesandten Fotos gingen in die Betrachtung der Stadt Offenbach am Main als bewegungsfreundliche Stadt ein und wurden mit Hilfe der Steuerungsgruppe auf Politik- und Verwaltungsebene der Stadt publik gemacht. Als weitere Maßnahme wurde von der Projektgruppe ein Stadtteilspaziergang zur Sensibilisierung von Verkehrsteilnehmenden, dass zugeparkte Bürgersteige für den Fuß- und Radverkehr eine Gefährdung darstellen. Die Fotos waren zudem im Rahmen einer öffentlichen Fotoausstellung zu sehen.

Aktion Gehweg(parker): Stadtteilspaziergang durch das Mathildenviertel

Im Rahmen der  Engagierten Stadt Offenbach war auch das Modellprojekt „Bewegt älter werden in Offenbach“ mit einer Aktion vertreten. In einer Mitmach-Werkstatt lud das Projektteam zu einem geführten Quartiersspaziergang mit besonderem Themenschwerpunkt „Verkehrssicherheit“ durch das Mathildenviertel ein. So ließen sich Eindrücke und Einschätzungen zur Verkehrssicherheit für Fußgänger*innen und Radfahrer*innen im Mathildenviertel gewinnen.
Anlass der Aktion waren die eigesendeten Fotos von Senior*innen, die im Rahmen der Fotoaktion des Modellprojekts „Bewegt älter werden in Offenbach“ im Frühjahr 2021 an die Projektgruppe gesendet worden waren. 
Diese Bilder zeigen geparkte Fahrzeuge auf Gehwegen, Radstreifen und an Kreuzungen, die eine Barriere für die Alltagsbewegung, insbesondere älterer Menschen darstellen. Für die Bewegung im Alltag sind freie und sichere Rad- und Gehwege besonders wichtig, um Strecken zu Fuß oder mit dem Fahrrad zurücklegen zu können. 

Bei dem Rundgang konnten Offenbacher*innen auf Barrieren, wie zugeparkte Gehwege, Radstreifen und Kreuzungen, mit einem „Denkzettel“ aufmerksam machen. Alle Senior*innen, die am Spaziergang teilnahmen, bekamen vom VCD- Verkehrsclub Deutschland e.V. „Denkzettel“ in Form von gelben Karten ausgehändigt, die zum Beispiel unter Scheibenwischer von falsch parkenden Fahrzeugen geklemmt werden konnten. Mit den „Denkzetteln“ konnten ältere Personen andere Verkehrsteilnehmer*innen darauf aufmerksam machen, dass zugeparkte Bürgersteige eine Gefährdung darstellen, da sie Fußgänger und Radfahrer zwingen, auf die Straße auszuweichen.  

Begleitet wurde der Spaziergang von Freiwilligen, die sich im Viertel gut auskannten.

*Walkability

Walkibitlity steht für einen Ansatz zur Charakterisierung einer bewegungsfreundlichen bzw. bewegungsförderlich gestalteten Umwelt. Er umfasst nicht nur die Begehbarkeit, sondern die gesamte Bewegungsfreundlichkeit von Straßenzügen, Wohnvierteln, Stadtteilen und urbanen Räumen

*Photovoice-Methode

Die Photovoice-Methode ist eine partizipative Methode, in der Fragestellungen idealerweise gemeinsam mit der Zielgruppe erarbeitet und mit Hilfe von eigens hergestellten Fotoaufnahmen in der Gruppe beantwortet werden. Durch die Form der Bürgerbeteiligung sollen Veränderungen angestoßen und angeregt werden, indem die Fotografien in Gruppen diskutiert werden. Verbunden ist die Methode mit dem Ziel, Veränderungen anzustoßen (vgl.: Wihofszky, 2020).

 

Bei Fragen zum Projekt und zur Erhebung können Sie sich gerne an den Arbeitsbereich "Gesund altern” wenden.
Ebenso können Sie sich auf der städtischen Internetseite https://www.offenbach.de/bewegung zu dem Projekt informieren.

Flyer mit Bewegungsangeboten für Senior*innen

Das Modellprojekt wurde gefördert von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit.

Literatur

Tran, M.C., Schmidt, J.A. (2014): Walkability aus Sicht der Stadt- und Verkehrsplanung. In: Bucksch, J., Schneider, S. (Hrsg.): Walkability. Das Handbuch zur Bewegungsförderung in der Kommune. Bern. Verlag Hans Huber, Hogrefe AG. 61-71.