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Gesundheitsförderung trifft Klimawandel: Psychische Gesundheit im Fokus von Forschung und Praxis
Bericht zum Fachtag am 22.10.2025

Wie wirkt sich der Klimawandel auf unsere mentale Gesundheit aus und wie können wir darauf reagieren? Diese Fragen standen im Mittelpunkt des Fachtags der Fach- und Vernetzungsstelle Gesundheitsförderung und Klimawandel im Haus am Dom in Frankfurt am Main.
Extreme Wetterereignisse, Zukunftsängste und gesellschaftliche Krisen können Stress, Überforderung und Hoffnungslosigkeit bewirken und verstärken – gleichzeitig braucht es psychische Stärke, um den Wandel aktiv zu bewältigen. Fachleute aus Wissenschaft, Praxis und Zivilgesellschaft teilten beim Fachtag aktuelle Erkenntnisse, stellten praxisnahe Ansätze vor und diskutierten Wege, wie psychische Gesundheit im Kontext des Klimawandels gefördert und erhalten werden kann.
Eröffnung
Durch den Tag führte Paula Föhr, die die Veranstaltung nicht nur moderierte, sondern die Inhalte parallel in einem Graphic Recording visualisierte. Eröffnet wurde der Fachtag von Dr. Katharina Böhm, Geschäftsführerin der HAGE. Sie betonte die Aktualität und hohe Relevanz des Themas.
Im Anschluss begrüßte Dr. Sebastian Martin, Referatsleiter im Hessischen Ministerium für Familie, Senioren, Sport, Gesundheit und Pflege (HMFG), die Teilnehmenden. Er hob hervor, wie wichtig es ist, die mentale Gesundheit im Zusammenhang mit dem Klimawandel stärker in den Fokus zu rücken – ein Aspekt, der bislang häufig zu wenig Beachtung finde. Der Fachtag zeige, wie Rahmenbedingungen geschaffen werden können, die psychische Gesundheit fördern und neue Handlungsspielräume eröffnen.
Vorträge, Kurzimpulse und Fachforen
In zwei Fachvorträgen, drei Praxisimpulsen und drei Fachforen wurde das Thema aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet. Die Kombination aus wissenschaftlichen Erkenntnissen und praktischen Beispielen bot zahlreiche Anregungen für den beruflichen Alltag und die kommunale Gesundheitsförderung.
Psychische Gesundheit im Klimawandel – Was uns krank macht und wie wir gesund bleiben
Katharina van Bronswijk, psychologische Psychotherapeutin, beleuchtete den Einfluss des Klimawandels auf die menschliche Gesundheit. Hitze, Umweltkatastrophen, Luftverschmutzung, Vektorerkrankungen oder Mangelversorgung beeinträchtigen dabei nicht nur die körperliche, sondern auch die psychische Gesundheit. Die Folgen des Klimawandels können bestehende psychische Erkrankungen wie Traumafolgestörungen, Demenz oder Depression verstärken. Zugleich entstehen neue Belastungen, etwa Angst (Climate Anxiety), Wut (Eco Anger) oder Trauer (Climate Grief). Um diesen Herausforderungen zu begegnen, bedarf es insbesondere der Stärkung von individueller und kollektiver Resilienz, betonte van Bronswijk.
Zukunft mit Zuversicht – Mentale Gesundheit zwischen Pandemie, Klimawandel und Krieg
Ein weiterer Schwerpunkt des Fachtags galt der psychischen Gesundheit von Kindern und Jugendlichen. Ihre Belastungen haben sich in den vergangenen Jahren deutlich erhöht, während das Wohlbefinden abgenommen hat – Stress, Angst und Hoffnungslosigkeit sind keine Seltenheit mehr.
Prof. Dr. Hanna Christiansen (Universität Marburg) verdeutlichte, dass vielfältige gesellschaftliche und ökologische Veränderungen, darunter auch die Folgen des Klimawandels, zu dieser Entwicklung beitragen. Um dem entgegenzuwirken, setzt das Deutsche Zentrum für Psychische Gesundheit (DZPG) am Standort Marburg mit der Youth-Mental-Infrastruktur auf evidenzbasierte Onlineangebote zur Förderung der mentalen Gesundheit junger Menschen.
Drei Kurzimpulse präsentierten Praxisbeispiele zum Thema psychische Gesundheit und Klimawandel.
Impuls 1: Klimacafé Frankfurt
Antonia Vantighem stellte das Klimacafé Frankfurt vor. Hier bieten sie und Daniela Moroz monatlich einen moderierten Raum für den Austausch über Gefühle, die mit dem Klimawandel in Verbindung stehen, an. In geschützter Atmosphäre sprechen Teilnehmende über Emotionen wie Angst, Wut oder Trauer – auf Grundlage der gewaltfreien Kommunikation. Dabei entsteht ein Ort, an dem Gefühle geteilt und reflektiert werden können, ohne bewertet zu werden. Ziel des Angebots ist es, Teilnehmende dabei zu unterstützen, ihre Gefühle im Zusammenhang mit dem Klimawandel besser zu verstehen und auf hilfreiche Weise damit umzugehen
Impuls 2: Klimasprechstunde
Im Zentrum für Psychiatrie Südwürttemberg wurde von den Referent*innen PD Dr. Hans Knoblauch und Monika Stöhr eine Klimasprechstunde ins Leben gerufen – als Antwort auf zunehmende Sorgen und psychische Belastungen im Zusammenhang mit dem Klimawandel. Die Klimasprechstunde unterstützt Menschen dabei, ihre Emotionen im Kontext des Klimawandels zu verstehen und konstruktiv zu bewältigen. Im Mittelpunkt stehen Psychoedukation, Reflexion und das Entwickeln aktiver Bewältigungsstrategien mit dem Ziel, Betroffene zu stärken und handlungsfähig zu machen.
Impuls 3: BEWARE – Ein Schulprogramm zur Förderung mentaler Gesundheitskompetenzen
Jennifer Piloth stellte das Schulprogramm BEWARE (Akronym für BEWusstsein, Aufklärung und REsilienz) des Leibniz-Instituts für Resilienzforschung vor. Es ist ein Programm zur Förderung der mentalen Gesundheitskompetenz von Schüler*innen der Klassen 5 bis 10. Das Programm umfasst Unterrichtsmaterialien für drei Doppelstunden pro Jahrgangsstufe sowie eine Lehrkräfteschulung. Vermittelt wird Wissen zu grundlegenden psychischen Prozessen, Einflussfaktoren auf die psychische Gesundheit, Anzeichen psychischer Belastungen, Strategien zur Förderung psychischer Gesundheit, Hilfs- und Behandlungsangeboten sowie zur Unterstützung Betroffener. Ziel ist es, das Thema psychische Gesundheit fest in Schulen zu verankern, die mentale Gesundheitskompetenz (sowie längerfristig auch die Resilienz) der Schüler*innen zu fördern und Stigmatisierung abzubauen. Aktuell befindet sich BEWARE in der Projektphase und steht ausschließlich kooperierenden Projektschulen in Rheinland-Pfalz zur Verfügung. Perspektivisch soll eine Programmeinführung auch für weitere Schulen möglich sein, bei Interesse kann gerne Kontakt zum Team aufgenommen werden, um weitere Informationen zum Prozedere zu erhalten.
Susanne Bell, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Geographischen Institut der Universität Bonn, leitete den Austausch. Ihre Forschung zur Flutkatastrophe im Ahrtal 2021 diente als Grundlage, um kurz-, mittel- und langfristige Folgen von Krisen auf der individuellen Ebene zu beleuchten. In einem World Café diskutierten die Teilnehmenden zur Priorität existenzsichernder Hilfen in akuten Phasen, während psychisches Wohlbefinden erst langfristig in den Fokus rückt. Deutlich wurde: Angebote zur psychischen Gesundheit müssen über die Akutphase hinaus bestehen, und Klima- sowie Katastrophenschutz sollten stärker in präventive, bauliche und kommunikative Strukturen integriert werden.
Katharina van Bronswijk, psychologische Psychotherapeutin, widmete sich der Frage, wie Resilienz angesichts multipler Krisen gestärkt werden kann. Kriege, Klimawandel, Biodiversitätsverlust und gesellschaftliche Spannungen belasten zunehmend die mentale Gesundheit. Gemeinsam mit den Teilnehmenden wurde erarbeitet, wie Resilienz auf verschiedenen Ebenen gefördert werden kann: strukturell durch Fachkräfte, Netzwerke und transparente Kommunikation; kollektiv durch Gemeinschaft, Nachbarschaftshilfe und Teilhabe; individuell durch Selbstwert – verstanden als Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und die Zuversicht, Herausforderungen bewältigen zu können – sowie durch Problembewusstsein und Hoffnung.
Das vierte Fachforum leitete Dr. Marischa Fast, wissenschaftliche Mitarbeiterin und Projektleiterin bei der Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit (KLUG). Sie zeigte, dass erfolgreiche Klimakommunikation mehr erfordert als Faktenwissen: Es geht darum, Motivation für eigenes Handeln im Alltag und im beruflichen Kontext sowie die Zuversicht, etwas bewirken zu können, zu fördern. Die Teilnehmenden erarbeiteten, wie über den Klimawandel gesprochen werden kann, ohne Überforderung oder Abwehr auszulösen. Ein zentrales Thema war die „pluralistische Ignoranz“: die irrige Annahme, mit der eigenen Haltung zum Klimawandel allein zu sein. Helfen können an dieser Stelle Gesprächsangebote, die sowohl an die Gefühle der Menschen anknüpfen (z. B. Sorge, Verantwortung, Hoffnung) als auch an konkrete Erfahrungen oder Beispiele aus ihrem direkten Umfeld – etwa der eigenen Stadt, dem Arbeitsplatz oder der Nachbarschaft. Solche emotionalen, lokalen Bezüge helfen, Schweigespiralen zu durchbrechen und Engagement zu stärken.
Visionsrunde
Zum Abschluss notierten die Teilnehmenden Impulse und Anregungen für den Praxisalltag auf Karten und befestigten diese an einem roten Faden. Dabei wurde deutlich, dass ein großes Interesse daran besteht, das Thema Klima künftig stärker in den beruflichen und persönlichen Alltag einzubringen.
Viele Teilnehmende äußerten den Wunsch, häufiger über Klima und Gefühle zu sprechen, Emotionen Raum zu geben und Klimakommunikation aktiv zu gestalten – mit Wissen, Mut und Offenheit. Einige fühlten sich inspiriert, eigene niedrigschwellige Angebote wie ein „Klimacafé“ ins Leben zu rufen. Zugleich wurde betont, dass die Förderung psychischer Gesundheit bei Selbstfürsorge und einem sinnorientierten Umgang mit Belastungen beginnt und bereits im Kindesalter durch resilienzfördernde Strukturen unterstützt werden sollte.
Die Veranstaltung hat neue Impulse gesetzt: Die Teilnehmenden nahmen Anregungen für ihre Arbeitspraxis mit und fühlten sich bestärkt, Klima- und Gesundheitsthemen mitzudenken. Mit einem gemeinsamen Blick nach vorn gingen sie aus dem Fachtag heraus – ermutigt, in ihrem Umfeld Anstöße zu geben, psychische Gesundheit und Klimawandel stärker zusammenzudenken, und beides im Alltag, in der Kommunikation und in Arbeitsstrukturen zu fördern.
Impressionen des Tages
Organisation
Organisiert wurde die Veranstaltung von der Fach- und Vernetzungsstelle Gesundheitsförderung und Klimawandel bei der Hessischen Arbeitsgemeinschaft für Gesundheitsförderung e. V. (HAGE) im Auftrag des Hessischen Ministeriums für Familie, Senioren, Sport, Gesundheit und Pflege (HMFG).
Fotos: © HAGE/AndreasMann.net
Graphic Recording: © HAGE/PaulaFöhr