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4. Qualifizierungsmodul des Landesprogramms „Präventionsketten Hessen“

Bericht zur Veranstaltung vom 23./24.04.2024

3. Juni 2024
Ende April 2024 setzte die Landeskoordinierungsstelle Präventionsketten Hessen das vierte Qualifizierungsmodul für kommunale Koordinator*innen um. Schwerpunktthemen waren rechtsübergreifende Kooperationsgebote und die kommunale Lobbyarbeit.
Menschen die bunte Zahnräder aneinanderhalten

 

Das Landesprogramm startete im Januar 2023 mit dem Ziel, zehn hessische Kommunen beim Aufbau, der Entwicklung und der nachhaltigen Verankerung von lokalen, passgenauen Präventionskonzepten für Kinder und ihre Familien zu unterstützen. Um die Koordinationsfachkräfte bestmöglich für diese umfassende Aufgabe vorzubereiten, fanden bereits im vergangenen Jahr drei Basisqualifizierungen statt. Aufbauend auf diesen beschäftigte sich das vierte Qualifizierungsmodul im April 2024 mit vertiefenden Themenschwerpunkten, die beim Auf- und Ausbau von Präventionsketten hilfreich sind.  

Der Workshop des vierten Qualifizierungsmoduls  am 23.04.2024 und 24.04.2024 beschäftigte sich mit folgenden Fragen:

  • Wie können sozialrechtlich verankerte Kooperationsgebote für die eigene Präventionskettenarbeit genutzt werden?
  • Wie können die Ansätze der Lobbyarbeit genutzt werden, um Interessen von Kindern und deren Familien im Bereich der Präventionskettenarbeit zu stärken? 
  • Wie kann Partizipation von Kindern und deren Familien strukturell mitgedacht und verankert werden?“

Die zwei Schulungstage wurden mit Hilfe unterschiedlicher Methoden interaktiv gestaltet. Neben fachlichen Impulsen durch Referierende bestand für die Teilnehmenden immer wieder die Gelegenheit, in Kleingruppen miteinander in den Austausch zu treten, Erfahrungen zu teilen und neue Inhalte auf die eigene kommunale Arbeit zu transferieren. 

Das Qualifizierungsangebot ist Bestandteil des Landesprogrammes „Präventionsketten Hessen – gelingendes Aufwachsen, Kinderrechte leben“ und fand in den Räumlichkeiten des Kinderbüros Frankfurt statt. 

23.04.2024: Rechtsübergreifende Kooperationsgebote & Grundlagen der Lobbyarbeit

Mit einer kurzen Vorstellungsrunde neuer Koordinationsfachkräfte und der Referent*in stellte Christina Wieda, Referentin der Bertelsmann Stiftung, in einem Impulsvortrag die rechtlichen Rahmenbedingungen für die kommunale Präventionskettenarbeit vor. Dabei ging Frau Wieda auf zwei inhaltliche Schwerpunkte ein: die Regelungen des Sozialgesetzbuches und die Kinderrechte, die relevant für die kinderrechtebasierte Präventionskettenarbeit sind. 
Die Regelungen im Sozialgesetzbuch sehen vor, das verschiedene Ämter, wie bspw. das Jugend-, Sozial- und Gesundheitsamt, den rechtlichen Auftrag haben, zusammenzuarbeiten und auf Grundlage der Hinwirkungspflicht Kinder und deren Familien über Ressortgrenzen hinaus zu unterstützen. Aus den Impulsen entstand ein erster Diskurs im Gesprächskreis über positive und negative Erfahrungen in der ressortübergreifenden Zusammenarbeit. Es wurde über die eigene fachliche Kenntnis bezüglich der Regelungen gesprochen, darüber, welche Bedeutung sie für den Aufbau kommunaler Präventionsstrategien haben und in welchem Umfang sie bei der praktischen und politischen Arbeit Berücksichtigung finden. Konsens besteht über den positiven Effekt der gemeinsamen Umsetzung von Beratungs- und Kooperationspflichten zwischen den Akteur*innen. Sozial-, Jugend- und Gesundheitsämter haben die Pflicht, Eltern und Familien hinsichtlich ihrer Ansprüche zu beraten und bei Bedarf entsprechende Stellen oder Ansprechpersonen zu vermitteln. Um diese Zusammenarbeit so einfach wie möglich zu gestalten, sind sie zur Kooperation verpflichtet. Dadurch können Versorgungslücken minimiert werden und kann gesundes Aufwachsen in der Kommune gelingen. Dabei sollen im Besonderen die gesetzlich festgeschriebenen Rechte der Kinder auf Gehör, Wohlergehen, Antidiskriminierung und bestmögliche Entwicklung berücksichtigt werden. Ein kurzer Exkurs führte zu einer Diskussion über das Grundrecht auf Bildung. Dieses Grundrecht gilt als erfüllt, wenn der Zugang zur Kinderbetreuung und bildenden Schule gewährleistet ist. Angemessenheit und Maß dieses Mindeststandards wurden kritisiert und die Umsetzung und Gewährleistung innerhalb der eigenen Kommune reflektiert.

Nach den theoretischen Vorträgen und der gemeinsamen Diskussion mit Frau Wieda überlegten die Teilnehmenden in einer Workshop-Phase, wie das Gehörte auf die eigene Arbeit übertragen werden kann. Auf Grundlage sozialgesetzlicher Regelungen erarbeiteten sich die Teilnehmenden Möglichkeiten zur Stärkung der Zusammenarbeit anhand konkreter Schnittstellen innerhalb der eigenen Kommune. Die Teilnehmenden profitieren dabei von der Vorgabe des Landesprogramms, derzufolge die Koordinierungsstellen personell auf zwei unterschiedliche Ressorts aufgeteilt sind. So ergeben sich durch die enge Zusammenarbeit kurze Vermittlungswege, wie beispielsweise zwischen Sozial- und Jugendamt, um Interessen von Kindern und Jugendlichen effektiv und zielgerichtet umsetzen zu können.

Nachdem in der ersten Tageshälfte die rechtlichen Rahmenbedingungen für die ressortübergreifende Zusammenarbeit im kommunalen Verwaltungshandeln beleuchtet wurden, widmete sich Prof. Dr. Werner Lindner (Dozent im Fachbereich Sozialwesen der Ernst-Abbe-Hochschule Jena) am Nachmittag der Frage, wie sich Interessen im Sinne der Präventionskettenarbeit strategisch im Bewusstsein politischer Vertreter*innen platzieren lassen. In seinem Impulsvortrag ging Prof. Dr. Lindner daher zunächst auf die Grundlagen der kommunalen Lobbyarbeit ein und zeigte mit verschiedenen Beispielen aus der Presse auf, wie sich durch eine gelungene Lobbyarbeit Interessen einzelner Gruppen umsetzen lassen. Herr Prof. Dr. Lindern stellte Konzepte der Politikberatung vor und hinterlegte diese mit Praxisbeispielen, sodass die Teilnehmenden sich in ihre Rolle als Interessenvertreter*innen für die Präventionskettenarbeit eindenken konnten.

Die untenstehende Grafik bildet das Potenzial (der Einflussnahme) der Koordinierungsfachkräfte auf  die politische Gestaltung vor Ort ab. Zu Beginn der Legislaturperiode ist es von zentraler Bedeutung, soziale und gesundheitliche Aspekte in das Bewusstsein politischer Akteur*innen zubringen. Dabei wird die Relevanz der vorgestellten Probleme verdeutlicht und werden Lösungsvorschläge anhand fachlicher Expertise herausgearbeitet. Wird das Anliegen in die politische Agenda aufgenommen, gilt es, Potenziale und Freiräume in der Ausgestaltung von Projekten und Programmen für die Interessen der Präventionskettenarbeit zu nutzen. Sowohl in der praktischen Umsetzung als auch in der Evaluation der Maßnahmen ist dabei die Fachexpertise der Koordinierenden als größter Mehrwert und Gelingens-Faktor in der politischen Zusammenarbeit hervorzuheben.

Schematische Darstellung des Politikkreislaufs mit beispielhaften Beteiligungspotential:

Modell des Politikkreislaufs

Herr Lindner betonte dabei, dass es wichtig sei, die eigene Rolle im Politikkreislauf zu kennen und nicht ausschließlich die Rolle des Bittstellers einzunehmen, sondern durch Expertise, Fachwissen und Information ein berechtigter Kooperationspartner mit Mehrwert für das politische Gegenüber zu sein. Um die eigene Rolle zu reflektieren und zu stärken, um ein verhandlungsfähiger Partner zu werden, wurden folgende Gelingensfaktoren herausgearbeitet:

  • Interessen und Macht spielen in der Kommunalpolitik eine entscheidende Rolle. Daher ist es wichtig, Ziele und Handlungsspielräume der jeweiligen Akteur*innen der Präventionskettenarbeit zu kennen.
  • Das Instrument der Akteursanalyse kann dabei unterstützen, einen Überblick über die Interessen und Ressourcen relevanter Akteur*innen zu erhalten.
  • In der kommunalen Lobbyarbeit und der politischen Auseinandersetzung ist es vorteilhaft, Herausforderungen und Probleme mit entsprechenden Lösungsvorschlägen anzusprechen.

Nach einem intensiven ersten Workshop-Tag fand in einer kleinen Runde ein gemeinschaftliches Ausklang beim 3D-Schwarzlicht-Minigolf in Frankfurt statt.

24.04.2024: Beteiligung, Mitwirkung, Partizipation

Den zweiten Qualifizierungstag startete Prof. Dr. Werner Lindner mit einer kurzen inhaltlichen Zusammenfassung des vorangegangenen Tages, um anschließend auf die Themen Beteiligung, Partizipation und Demokratie einzugehen. Im Plenum wurde die Frage nach „echter“ Partizipation im Rahmen adulter Vorgaben diskutiert. Aspekte dabei waren, wann und in welchem Maß die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen angemessen ist. Es wurde kritisch gespiegelt, dass Teilhabe in bestimmten Situationen als wegdelegierte Verantwortung oder Entscheidungsfaulheit verstanden werden und  zu Überforderung und Negativerfahrungen auf Seiten der Kinder und Jugendlichen führen könne. Ein gemeinsames Verständnis der Gruppe herrschte über den positiven Effekt der erlebten Selbstwirksamkeit bei partizipativen Ansätzen. Besonders im Kontext von Demokratie und Politik zeigte sich die zentrale Bedeutsamkeit der Einbindung von und Gestaltung durch jüngere Generationen: 

  • Gesetzliche Verankerung des Rechts auf Gehör
  • Politische Partizipation von Kindern und Jugendlichen fördert die Selbstwirksamkeitserfahrungen und Erfolgserlebnisse sowie das Selbstverständnis, ein wahrgenommenes und aktives Mitglied der Gesellschaft zu sein.
  • Politik behandelt Aspekte, die Kinder und Jugendliche direkt betreffen, und sollte daher bemüht sein, auch im Hinblick der potenziellen Wählerschaft, ihnen Gehör zu verleihen und ihre Interessen ernst zu nehmen. Teilhabe und Beteiligung fördern die politische Bildung, stärken die Demokratie und wirken Politik-Verdrossenheit durch Frustration entgegen.
  • Die jüngere Generation ist selbstbewusst und interessiert. Ihr politisches Engagement bietet Potenziale für neuen Input, innovative Denkweisen und Strategien.

Miriam Zeleke (Landesbeauftragte für Beteiligung und Förderung von Kindern und Jugendlichen im Hessischen Ministerium für Soziales und Integration) brachte sich mit ihrer Expertise auf landespolitischer Ebene ein. Sie teilte ihre positiven Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit engagierten Kindern und Jugendlichen und betonte wiederholt den Wunsch junger Bürger*innen nach partizipativen Instrumenten, wie beispielsweise Jugendparlamente und -foren sowie weitere Formate zur „echten“ Beteiligung.

Der Nachmittag bot erneut Möglichkeiten für den Theorie-Praxis-Transfer. In Murmelgruppen hatten die Teilnehmenden die Möglichkeit, zu einer expliziten Aufgabenstellung konzeptionelle Überlegungen für die eigene Lobbyarbeit bezüglich der  Kinder- und Jugendbeteiligung zu entwerfen. Die entwickelten Konzepte können für anstehende Treffen in Steuerungsgruppen, Gespräche mit Bürgermeister*innen oder kooperierenden Ressorts in der eigenen Kommune genutzt werden. Dabei profitierten die Teilnehmenden von ihren unterschiedlichen Erfahrungen, die unter anderem in den unterschiedlichen Stadien innerhalb des Prozesses begründet liegen. Die anschließende Besprechung im Plenum konnte zur Weiterentwicklung der Ideen beitragen und ließ Raum für die Diskussion individueller Fragen und Herausforderungen. Gemeinsam reflektierten die Teilnehmenden die vergangenen Qualifizierungstage hinsichtlich der Präventionskettenarbeit und der eigenen Rolle im Rahmen rechtlich-verbindlicher Kooperationen und der Umsetzung von Beteiligungskonzepten. 

Die Auseinandersetzung und Reflexion des zweiten Tages zeigte, dass die Teilnehmenden sich ihrer funktionalen Rolle und ihres kommunalen Einfluss-Potenzials bewusster wurden. Sie können den weiteren Prozess im Rahmen der Präventionskettenarbeit aktiv gestalten und damit einen Teil zur Implementierung von Kinderrechten in der hessischen Verwaltung, Facharbeit und Politik beitragen. 

Wir bedanken uns bei allen Teilnehmenden für zwei produktive Veranstaltungstage und laden Sie dazu ein, uns Ihre Themenwünsche und Bedarfe für weitere Vertiefungen per Mail mitzuteilen: praeventionsketten@hage.de.

Veranstaltungsberichte der ersten drei Qualifizierungsmodule finden Sie unter:

Modul I: 10./11.05.2023
Modul II: 10./11.07.2023
Modul III: 30./31.10.2023

Organisation

Die Veranstaltung wurde von der Landeskoordinierungsstelle Präventionsketten Hessen organisiert. Sie ist bei der Hessischen Arbeitsgemeinschaft für Gesundheitsförderung e. V. (HAGE) mit Sitz in Frankfurt am Main angesiedelt. Das Landesprogramm „Präventionsketten Hessen – Gelingendes Aufwachsen, Kinderrechte leben“ wird durch das Hessische Ministerium für Familie, Senioren, Sport, Gesundheit und Pflege (HMFG) und die Auridis Stiftung gefördert. Weitere Informationen finden Sie bei uns im Internet.

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